Das ist die zweite Geschichte, die in "Kleine Reisen" von mir abgedruckt wurde.
Ich glaube, viele werden erkennen, worum es sich handelt. Vor allem alle Väter und Mütter. Mir tun nur die beiden Hauptpersonen leid, denn sie machen eine Menge mit. Ich fürchte allerdings, dass es
ihren "Brüdern und Schwestern" auch so oder so ähnlich oft genug ergeht.
„Hey, Barbara, wo bleibst du denn?“
Konrad saß auf dem Beifahrersitz des rosafarbenen, offenen Geländewagens. Wie immer kam seine Lebensgefährtin zu spät. Wie aus dem Nichts tauchte sie dann plötzlich auf, saß auf dem Fahrersitz.
„Bin ja schon da.“, sagte sie, den Kopf nur halb in seine Richtung gedreht. „Bist du auch angeschnallt?“
„Ja sicher“, brummte Konrad. Blöde Fragerei. Er zog demonstrativ an seinem Gurt.
Barbara sah ihn noch einmal an.
„Und der Anhänger mit Ricky? Ist der fest? Du weißt, was beim letzten Mal passiert ist.“
Konrad knurrte: „Ja, er ist fest. Aber vielleicht erinnerst du dich daran, dass du gefahren bist.“
Barbara sah ihn entrüstet an.
„Wie denn nun? Was kann ich dafür, wenn da auf einmal mitten auf dem Weg eine Schwelle ist?“
„Ist ja schon gut. Fahr einfach.“
Der Geländewagen setzte sich in Bewegung. Ricky, der Schimmel, schnaubte in seinem Hänger. Ihm gefiel die Fahrerei nicht. Er schwankte hin und her, als die Fahrt schneller wurde. Schon jetzt wurde
ihm übel.
„Barbara, bitte. Nicht so schnell. Denk an Ricky.“
Barbara sagte nichts. Ihr gefiel es genauso wenig wie Konrad. Aber sie konnte nichts, aber auch gar nichts, dagegen machen.
Sie wussten nicht, wohin es ging, sie hatten nur etwas von „Urlaub“ mitbekommen. Und schon allein dieses eine Wort hatte ihnen kalte Schauer über den Rücken gejagt.
Immer weiter ging die Fahrt, vorbei an Bären, an Feldern. Mehrmals bogen sie scharf ab.
„Das muss das Schlafzimmer sein.“, sagte Konrad.
Barbara nickte.
„Ja, gleich hinten links kommen wir dann ins Restaurant. Erinnerst du dich?“
Konrad lachte. Ja, er erinnerte sich. Dort hatte er Barbara zum ersten Mal getroffen. Sie lag quer in der Suppenschüssel, die Haare voller Buchstabennudeln. Es hatte Wochen gedauert, bis sie alle
raus waren.
Auf einmal gab es einen dumpfen Schlag, als der Wagen über eine Schwelle holperte und kurz darauf einen zweiten, als der Anhänger hinterherkam. Barbara sah in den Rückspiegel.
„Puuh, nix passiert. Aber ob unser Haus noch so schön ordentlich ist, wenn wir nachher wieder heimkommen?“
Konrad zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Ich hab mehr Angst um uns. Wer weiß, was heute wieder für unangenehme Überraschungen auf uns warten.“
Barbara bekam eine Gänsehaut.
„Ja, wir müssen aufpassen, was das große „E – Bäääh“ wieder vorhat.“
Konrad spähte aus dem Wagen.
„Ich mache mir mehr Sorgen um etwas anderes. Hier lauert immer die Mau.“
Barbara erschauerte. Ja, die Mau. Sie dachte an Claudia und Walter, ein befreundetes Paar. Sie waren eines Tages in die Fänge von Mau geraten. Während Walter nur das rechte Bein, ein Auge und ein Ohr
verlor, war Claudia nie mehr aufgetaucht.
Aber Mau schien heute nicht da zu sein.
Sie kamen nun an eine Stelle, die sie beide nicht mochten. Bislang war der Untergrund weich gewesen, da konnte nicht viel geschehen. Aber nun wurde der Boden glatt und gemein. Hier hatten sie schon
mehrmals den Hänger mit Ricky verloren, hatten sich oft genug überschlagen. Zum Glück hatten sie alle eine gute Konstitution, sonst wäre es wohl schlimm ausgegangen.
Barbara rümpfte ihr kleines Näschen.
„Ich hoffe, dass du heute auf Ricky reitest.“
Konrad erschauerte.
„Wieso ich?“
Barbara lächelte ihn an.
„Nun, in meinem Sommerkleid ist Reiten nicht so toll. Danach tut mir immer der Popo weh.“
„Das liegt nicht an mir, das weißt du. Das bestimmt das große „E – Bäääh“, und das kann ich nun wirklich nicht beeinflussen.“
„Ja, das sagst du immer. Und dann lachst du dich schlapp, wenn mein Po rot ist.“
„Hey, ich kann auch nix dafür, dass du keine Unterhosen hast.“
Barbara wurde rot. Sie dachte an ihre Freundinnen Susanna und Karin. Auch sie trugen nie Unterhosen. Warum eigentlich nicht? Auch Konrad hatte keine Unterhosen, aber wenigstens eine lange Hose
an.
Konrad grinste wieder.
„Barbara, ganz ehrlich? Du siehst verdammt sexy aus mit dem Kleid.“
Sie knuffte ihn in die Seite.
„Ach hör doch auf, es bringt eh nichts.“
Barbara grübelte über ihre beider Geschlechtslosigkeit. Sie sah aus wie eine Frau, dachte wie eine Frau. Aber sie war in Wirklichkeit keine. Bei Konrad war es genauso. Er sah aus wie ein Mann, mit
herrlich breiten Schultern und einem Waschbrettbauch, auf dem man hätte Nüsse knacken können. Nur - und das war fatal - darunter kam … nichts.
Sie riss sich aus den Gedanken, schaute sich um. Sie glaubte, Wasser rauschen zu hören, und befürchtete das Schlimmste.
„Konrad, oh nein… das Bad!“
„Was? Nein… nicht schooon wieder… „
Plötzlich fing der Geländewagen an zu schleudern.
„Halt dich fest!“ rief Konrad, doch da war Barbara schon aus dem Wagen gefallen. Der Anhänger schlidderte an ihnen vorbei und rumpelte über ihre Beine, Ricky wieherte voller Angst, als die Heckklappe
aufging und er mit Karacho aus dem Anhänger fiel.
„Ist dir was passiert?“, rief Konrad.
„Nein. Du weißt doch, ich halte einiges aus.“
Barbara wollte sich aufrichten, wollte der Gefahr entfliehen, doch dazu kam es nicht mehr.
„E – Bäääh“, hörten sie auf einmal eine Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien.
„Oh nein“, murmelte Barbara, als sie in die Höhe gehoben wurde.
„Barbara, nein!“, hörte sie Konrad schreien - da fiel sie auch schon. Sie drehte sich im Flug und sah, wie sie sich einem tiefen Gewässer näherte.
Platsch! Schon lag sie in eiskaltem Wasser, tauchte unter, kam wieder an die Oberfläche. Und wieder wurde sie unter Wasser gedrückt.
„Puppa Urlaub, Puppa schwimmi“, hörte sie die Stimme krächzen.
Ein erneutes Platschen, als auch Konrad im Wasser landete. Ihre Kleider waren pitschnass, das Sommerkleid klebte an ihrem Busen. Sie ahnte, dass Konrad auf ihn schielen würde, wenn er wieder in der
Lage sein würde, auf irgendetwas zu schielen.
Sie wurde wieder hochgehoben, spürte, wie jemand ihr das Kleid vom Leib zog.
„Puppa nackich schwimmi.“
Platsch, war sie wieder im kalten Wasser, wurde wieder und wieder unter Wasser gedrückt. Ihre langen blonden Haare verfilzten, pappten an ihrem Kopf und in ihrem Gesicht. Sie sah sich um, suchte nach
Konrad. Da platschte es wieder, und auch er war kleiderlos. Sie sah seinen nackten Hintern im Wasser.
Immer und immer wieder wurden sie abwechselnd ins Wasser getaucht. Dann, plötzlich, Stille.
Sie trieben auf dem Wasser, nahe genug bei einander, dass sich ihre Arme berührten.
„Ach Konrad.“, seufzte Barbara. Gern hätte sie ihm mehr Zärtlichkeit gegeben, aber es ging nicht.
„Mussten wir ausgerechnet im Badezimmer landen?“
Sie fühlte, wie sie emporgehoben wurde.
„Kussi geben.“, sprach die Stimme. Und schon wurden ihre Lippen auf seine gepresst.
„Hoppa machen.“
Breitbeinig wurde sie, nackt wie sie war, auf Ricky gehoben. Im wilden Galopp ging es rund. Auf und ab. Mehrmals fiel sie vom Pferd, wurde aber immer wieder hinauf gehoben.
Dann war Konrad an der Reihe. Ihm erging es noch übler. Wilde Sprünge über tiefe Abgründe, dann mit dem Pferd in das Wasser.
Auch Barbara wurde noch einmal untergetaucht, dieses Mal so lange, dass sie das Bewusstsein verlor.
Als sie erwachte, saß sie im Geländewagen, Konrad neben ihr. Sie waren immer noch nackt. Die Kleider lagen hinten auf der Rückbank.
Die Reise ging wieder heim, das wussten sie. Hoffentlich war Mau nicht da oder schlief.
Da hörten sie ein tiefes Brummen.
„Oh nein, nicht noch der große Zyklon!“ Das Brummen wurde lauter, etwas stieß gegen den Wagen. Sie sahen eine gewaltige Masse, die sich hin – und herbewegte, ein weiterer Stoß, dann war die Gefahr
vorüber.
Es ging um eine Ecke und dann passierte es:
„Oh nein… Mau!“, rief Barbara. Eine Tatze senkte sich über sie, scharfe Zähne waren zu sehen, doch dann war der Weg auf einmal wieder frei. Sie hörten ein irres Quietschen, ein Fauchen, als Mau wie
vom Wirbelwind gepackt wegflog.
„Mau böse, Mau nich machen Puppa put.“
Konrad atmete tief ein.
„Puuh, das war knapp. Das große „E – Bäääh“ hat uns gerettet.“
Barbara konnte nur noch nicken.
Endlich sah sie ihr Haus, das Haus mit dem gemütlichen Bett. Sie wollte nur noch schlafen. Beinahe schon im Traum hörte sie eine göttliche Stimme.
„Spatzi, kommst du bitte, Zeit fürs Bett.“
„Patzi kommt, Patzi noch Puppa Nacht sagen.“, hörten sie das große „E – Bäääh“ rufen.
„Puppa Heia.“, plärrte die Stimme. Dann wurden sie ins Bett gelegt und zugedeckt.
„Puh, endlich.“, murmelte Konrad.
„Ja.“, erwiderte Barbara. „Hoffentlich wird das große „E – Bäääh“ bald größer.“
„Komm, ihre Schwester haben wir überlebt, dann schaffen wir die auch.“
Barbara lachte.
„Ja, aber diese Reisen durch die Wohnung halte ich bald nicht mehr aus. Am schönsten ist es halt im Kinderzimmer in unserem Haus.
Konrad nickte.
„Gute Nacht, Barbara.“
„Gute Nacht, Konrad.“