Gewalt des Glaubens: Blut für die Kirche

1529

Die Reformation verbreitet sich immer weiter im Reich. Die katholische Kirche, unterstützt von Kaiser Karl V., versucht mit aller Kraft, ihre Macht zu behalten, und greift dazu zu allen Mitteln, derer sie sich bedienen kann. Nach seinen Erlebnissen in Wien trifft Markus auf den Inquisitor Ferdinand von Ravensburg, der aus seinem auferlegten Exil zurückkehrt. Als Berater und zur Unterstützung zugeteilt gerät Markus immer tiefer in den Bann des charismatischen Mannes. Versucht er anfangs noch, sich gegen Hexenprozesse aufzulehnen, wird er letztlich doch zu einem Werkzeug der Inquisition und lässt sich davon überzeugen, dass Anna eine Hexe ist und den Tod verdient.
Wird es seinen Freunden gelingen, Markus aus dem Bann des Inquisitors zu lösen und Anna vor dem Scheiterhaufen zu bewahren?

Leseprobe

 

Prolog
 
Gutshof von Matthias und Marie, August 1536
Markus erwachte beim ersten Hahnenschrei. Staubkörner tanzten in den Sonnenstrahlen, die durch einige Ritzen in den hölzernen Wänden fielen. Neben sich hörte er das vertraute Schnarchen seines Freundes Max.
»Glücklicher Kerl«, murmelte Markus sehnsuchtsvoll und erhob sich, zog sich eine Hose über und verließ den Stall, in dem er genächtigt hatte. Nicht weit davon entfernt stand ein Trog mit Wasser. Er beugte sich darüber und wusch sich. Es war kalt wie Eis und machte ihn endgültig munter.
Marie, die schon länger wach war und ihre beiden Mädchen versorgt hatte, sah ihm vom Fenster der Küche aus zu. Das war nicht mehr der schmalbrüstige Jüngling, den sie vor zehn Jahren bei sich aufgenommen hatten. Sie musterte ihn mit dem Blick einer Frau, die genau wusste, worauf sie zu achten hatte. Die Schultern waren breit geworden, die Oberarme muskulös, auch der Nacken war kräftig. Marie führte das auf das lange und intensive Training mit dem Schwert zurück. Als er sich umdrehte, konnte sie die wohlmodelierten Brust– und Bauchmuskeln betrachten. Wie aus Stein gemeißelt hoben sie sich deutlich ab.
Aber sie sah auch einige Narben und schluckte. Das, was er in der letzten Nacht erzählt hatte, war nur ein Teil seiner Geschichte. Sie brannte darauf, auch den Rest zu erfahren. Doch das würde warten müssen, es galt, ein Tagwerk zu verrichten.
Das Leben auf dem Gut war alles andere als bequem, aber um nichts in der Welt hätte Marie mit irgendjemandem in der Stadt tauschen wollen. Seit sie vor zehn Jahren hergezogen waren, hatte harte Arbeit ihr Leben bestimmt. Matthias hatte alles getan, damit sie ein gutes Auskommen hatten, wie er seinerzeit dem Vogt versichert hatte. Der Holzhandel florierte, er brachte gutes Geld in die Kasse.
Aber auch das Getreide wuchs gut, die Ernten waren reichlich, und gemeinsam mit dem Vieh, das sie aufzogen und verkauften, hatten sie sich ein hübsches Sümmchen zusammensparen können. Mehr noch, es war ihnen gelungen, ein kleines Schulhaus zu bauen, in dem die Kinder der umliegenden Gehöfte regelmäßig Unterricht erhielten.
»Ich will, dass unsere Kinder lesen und schreiben können«, hatte Matthias gesagt, als er ihr den Plan offenbart hatte. »Und auch die Kinder der Pächter. Ich will, dass sie rechnen können und nicht als Dummköpfe darauf angewiesen sind, dass sie niemand beim Verkauf der Ernte bescheißt.«
Und so hatte er es auch gemacht. Vogt Steiner hatte ihnen einen guten Lehrer vermittelt, der bei der Kirche in Ungnade gefallen war und nicht mehr in den kirchlichen Schulen unterrichten durfte. Matthias und Marie hatten ihn sich angesehen. Es war ein älterer Mann, aber mit einem sanften Wesen und außerordentlich gebildet. Matthias hatte nur genickt und etwas klargestellt.
»Eines nur: Ich dulde es nicht, wenn man die Hand gegen eines der Kinder erhebt. Benehmen sie sich nicht, schickt nach mir, ich werde das dann regeln.«
Der Lehrer hatte nur, nach einem Blick auf die riesigen Pranken des ehemaligen Henkers, genickt, und seinen Dienst angetreten. Zuerst im Speisezimmer des Gutshofes, später dann in einem Raum in dem dafür extra errichteten Haus, in dem auch der Lehrer wohnte. Marie riss sich aus den Gedanken, als Markus zurück zum Stall ging und wenig später angezogen wieder heraustrat. Sie eilte zur Haustür und rief ihm quer über den Hof zu: »Markus, möchtest du etwas zum Frühstück? Ich habe noch Eier und Speck.«
Er kam langsam zum Haus. Marie beobachtete seinen Gang, der von Kraft und Energie zeugte.
»Marie, du bist immer noch so besorgt um mich«, lachte er, als er sie umarmte.
Vor der Begegnung am Morgen hatte er ein wenig Angst gehabt, nachdem er in der Nacht von der Begegnung mit ihrem Erzfeind Ferdinand von Ravensburg berichtet hatte. Aber sie schien es ihm nicht nachzutragen. Noch nicht.
»Für mich wirst du immer der kleine schmächtige Kerl mit dem Bärenhunger bleiben«, lachte Marie zurück.
»Alles in Ordnung zwischen uns?«, fragte Markus leise. »Oder muss ich Angst haben, dass Matthias mir auf einmal den Schädel einschlägt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, das wird nicht passieren. Er ist nicht dumm, das weißt du. Du wärest nicht hergekommen, wenn, nun, wenn du ein Häscher der Inquisition wärest.«
Er sah sie mit ausdruckslosem Blick an.
»Ich werde euch später alles erzählen«, murmelte er dumpf, dann ließ er sich nieder und frühstückte erst einmal.
Auch Max, der mittlerweile wach war, kam angestapft und füllte sich den Magen.
»Vogtschwester beste Köchin von hier bis zum Papst«, brummelte er.
Schließlich beendete Markus sein Frühstück und stand auf, klatschte in die Hände.
»Komm Max, lass uns unser Frühstück und die Logis abarbeiten. Ich denke, vier Hände mehr sind gerne gesehen im Wald.«
Marie beschrieb ihnen, wie sie in den Teil des Waldes kamen, in dem Matthias schon bei der Arbeit war, und die beiden machten sich auf den Weg. Schon in einiger Entfernung hörten sie die Axtschläge und gelegentlich das Bersten von Holz.
Als sie ankamen, sah Matthias ihnen entgegen.
»Ah, die Herren sind ausgeschlafen? Ich wusste gar nicht, dass man bei den Soldaten Langschläfer ausbildet«, frotzelte er. »Bis heute Abend müssen wir noch zehn Bäume fällen und entasten. Morgen sollen sie abgeholt werden.« Er deutete hinter sich. »Sie sind alle markiert.«
Damit drehte er sich um und arbeitete stumm weiter. Markus und Max griffen sich das Werkzeug, und schon bald fielen die Bäume in immer schnellerem Abstand. Gemeinsam mit den Knechten, die auf dem Gut arbeiteten, ging die Arbeit rasch von der Hand.
Als die Sonne am höchsten stand, kam Marie mit den Frauen und Kindern. Sie trugen einige Körbe mit kaltem Fleisch, Brot, Gurken und Bier. Nachdem sie sich gestärkt hatten, sah Matthias zu seinem Ältesten.
»Also, was habt ihr heute in der Schule gelernt?«
»Die Kleineren weiter lesen und schreiben, mir hat er gezeigt, wie man die Steuern auf den Verkauf berechnet. Ist gar nicht so schwer, wie ich gedacht habe.«
»Das ist gut.« Er sah Eckhard in die Augen. »Es ist wichtig, dass du das kannst, dann bescheißt dich auch niemand.«
»Ja Vater.« Eckhard warf Markus einen Blick zu, der ihn aufmerksam musterte. »Aber ich möchte nicht als grauer Kaufmann arbeiten.«
»DAS hat ja auch niemand verlangt, oder, mein Sohn?«
»Nein, Vater.«
Matthias legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter.
»Sieh mal, ich habe nichts gelernt, erst spät konnte ich lesen und schreiben, auch rechnen war nie meine größte Stärke. Das hat dann deine Mutter übernommen. Aber ich bin der Meinung, dass du zumindest so weit alles können musst, damit du, egal was du mal machst, dir von niemandem etwas vorrechnen lassen musst.«
Eckhard nickte, aber Markus sah ihm an, dass er der Schule nicht wirklich etwas abgewinnen konnte.
Der Nachmittag flog nur so vorbei, doch als die Abenddämmerung einsetzte, hatten sie es geschafft. Alle Stämme lagen, sauber aufgereiht, am Wegesrand und warteten darauf, am nächsten Tag von Fuhrwerken abgeholt zu werden. Die Männer waren erschöpft, aber zufrieden. Die zusätzlichen Hände hatten sie gut gebrauchen können und sie waren immer wieder über die Körperkraft von Max erstaunt gewesen.
Nach dem Abendessen saßen sie wieder um das Feuer, so wie am vorigen Abend. Doch bevor Markus mit seinen Schilderungen fortfahren konnte, musste er sich gedulden, denn Marie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass diese Geschichte nichts für ihre Mädchen wäre. So beschränkte er sich vorerst darauf, mehr über das herauszufinden, was in seiner Abwesenheit in Rothenburg geschehen war.
»Was ist eigentlich aus Vogt Steiner und Magdalena geworden?«, fragte er Marie.
»Oh, das ist recht schnell erzählt. Etwa zwei Jahre nachdem du fortgegangen bist, hat er seinen Vogtssitz aufgegeben, in Rothenburg gibt es seitdem einen Stadtrat und einen Bürgermeister. Es hat sich einiges geändert. Erinnerst du dich an Karl? Und an Helga?«
Markus überlegte kurz.
»War das nicht deine Freundin, die auch mit diesem Schnösel rumgemacht hat?«
»MARKUS! Beherrsch dich!«
Maries Blick war scharf wie ein doppelt geschliffener Dolch. Eckhard kicherte. Er hatte zwar keine genaue Vorstellung davon, was ›rummachen‹ bedeutete, aber er ahnte, dass es etwas war, was mit Liebe machen zu tun haben musste. Matthias warf seinem Erstgeborenen einen schnellen Blick zu, der Eckhard erröten ließ. Marie jedoch fuhr fort.
»Ja, genau die meine ich. Nun, Karl und Helga haben geheiratet und mittlerweile fünf Kinder. Er sitzt im Stadtrat und hat die Bäckerei übernommen, nachdem Helgas Vater sich bei einem Unfall in der Backstube die rechte Hand so verbrannt hat, dass man sie ihm abnehmen musste. Jedenfalls, Helga sieht mittlerweile so aus wie damals die Frau des Müllers.«
Matthias blies die Backen auf und formte mit den Armen einen Ring vor seinem Bauch. Markus musste grinsen. Er erinnerte sich auch an diese Frau. Sie war rund wie ein Fass gewesen, aber er wurde sofort wieder ernst, denn auch sie war vor zehn Jahren, wie so viele andere, von dem Inquisitor auf den Scheiterhaufen gebracht worden.
»Helga? Dick? Sie war doch eher immer dünn.«
Marie winkte ab.
»Nach den ganzen Kindern kein Wunder. Nun, der Vogt und Magdalena haben sich, etwa eine Stunde von hier, ein Haus gebaut. Sie züchten dort Pferde. Magdalena geht es übrigens seit damals wieder gut, ihre Krankheit ist nicht mehr zurückgekehrt.«
Das freute Markus, wusste er ja, was Marie alles unternommen hatte, um Magdalena von einer Lungenkrankheit zu heilen, die sie sich beim Färben von Stoffen zugezogen hatte.
»Und der Schwan?«
Marie lächelte.
»Ja, der Schwan. Er ist immer noch das ›beste Haus am Platz‹, so wie damals. Das hat sich nicht geändert. Magdalena hat schnell eine Nachfolgerin dafür gefunden.«
Langsam wurde es dunkel, Marie brache ihre beiden Töchter, die die ganze Zeit mit Max herumgetollt hatten, in ihre Betten. Als sie zurückkehrte, sah sie Markus lange an.
»So, junger Mann, und jetzt erzähl mal, was hast du mit diesem Scheusal zu schaffen gehabt?«
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